Das Talent aus der Vitryat
Was sich anhört wie ein wunderschöner Landstrich in Osteuropa, ist eigentlich ein etwas in Vergessenheit geratenes Gebiet in der östlichen Champagne, direkt am Fluss Marne, etwa 50 km flussaufwärts von Epernay. Das Vitryat war einst ein wichtiges Anbaugebiet, verschwand durch die Reblausplage, Krieg und Wirtschaftskrise aber fast vollständig von der Bildfläche. Erst in den 70er Jahren wurde es etwas wiederbelebt. Aber selbst heute gibt es dort nur wenige eigenständige Winzerinnen und Winzer. Und das, obwohl die Böden der Vitryat denen der Côte de Blancs stark ähneln, von wo mitunter die größten Champagner der Welt stammen. Die sehr kalksteingeprögten Böden eignen sich ideal für strukturierte, tiefe sowie präzise Chardonnays.
Und der Chardonnay ist auch die Rebsorte, der sich Antoine Chevalier voll und ganz verschrieben hat. Er selbst hat den elterlichen Betrieb erst 2019 übernommen, die beschaulichen 2,5 ha Weinberge sofort auf biologischen Weinbau umgestellt und seitdem seine ebenso klare wie unmissverständliche Vision umgesetzt, terroirgeprägte, mineralische Schaumweine auf Weltklasse-Niveau auf die Flasche zu bringen.
Dass ihm das mit dem 2021er Jahrgang gelungen ist, haben wir bei der diesjährigen Printemps de Champagne, der vielleicht wichtigsten Messe für Grower Champagne, also Champagner von handwerklichen Erzeugern, wortwörtlich mit Nachdruck präsentiert bekommen.
Der Jahrgangs-Champagner Intégrale beeindruckt mit einer unglaublichen Finesse bei gleichzeitiger Brutalität. Das ist kein Schaumwein für Einsteiger, das ist für Fans der großen Grand Crus aus Avizé oder Ambonnay. Wobei Ambonnay sicherlich zarter ist als dieses Geschoss hier. Das ist so viel Schaumwein, wie man im Moment des Gaumeneintritts kaum greifen kann. Das lässt einen fast ungläubig staunen. Antoine gebührt ein riesen Respekt für das, was er aus einem Jahrgang rausgeholt hat, den die Region vielleicht eigentlich lieber vergessen wollen würde. Frost und Regen zerstörten hier fast 75% der Ernte. Doch das was blieb, wurde in den richtigen Händen spektakulär.
Mit dem Wort spektakulär lässt sich auch der zweite Champagner des Hauses, den wir nach Deutschland holen, bezeichnen. Der Ovoïde bewegt sich weit abseits des Mainstreams, vergoren und ausgebaut in Amphoren, komplett ohne Schwefel und mit 0g/l Dosage. Dieses knochentrockene Brett fasziniert nicht durch Perfektion, sondern mit seiner Wildheit und Textur. Definitiv ein Stoff für Terroir-Freaks und Puristen.
Es gibt je Champagner für die ganze Welt übrigens keine 2.500 Flaschen.
